James Cook und die Entdeckung der Südsee

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Titel
James Cook und die Entdeckung der Südsee.


Herausgeber
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH; Kunsthistorisches Museum mit Museum für Völkerkunde und Österreichischem Theatermuseum, Wien; Historisches Museum Bern
Erschienen
Zürich 2009: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stefan Hächler, Edition Zurlaubiana, Aarg. Kantonsbibliothek Aarau

Es sind eindrückliche Zahlen, die uns die Dimension von Cooks Reisen bewusst machen sollen: Mehrere zehntausend Meilen Schiffsfahrt um den ganzen Globus, unvorstellbare Mengen an Lebensmitteln, Alkoholika, lebenden Tieren, Tierfutter, Werkstoffen etc. in den engen Laderäumen der relativ kleinen Expeditionsschiffe, zahlreiche Tote sowohl in den Reihen der Schiffsmannschaften als auch in denjenigen der unterwegs angetroffenen Eingeborenen. Als «Gegenwert» zu diesen «Aufwendungen»: Weit mehr als 2000 exotische Gegenstände menschlicher Produktion und aus dem Naturreich, 65 Gemälde, 600 Aquarelle / Gouachen / Zeichnungen, 130 Kupferstiche sowie 2000 naturkundliche Darstellungen, zahlreiche kartografische Aufzeichnungen, eine grosse Menge astronomischer, meteorologischer, allgemein naturwissenschaftlicher Daten, Log-, Reise-, Tagebücher. Ein überreicher Fundus also, aus dem die Macherinnen und Macher der Ausstellung James Cook und die Entdeckung der Südsee schöpfen konnten.

Wer die Ausstellung in Bonn (August 2009 bis Februar 2010), Wien (Mai bis September 2010) oder Bern (Oktober 2010 bis Februar 2011) gesehen hat, dem haben die fast 600 ausgestellten Objekte einen überwältigenden Eindruck der ausserordentlichen Leistungen von Cook und seinen Leuten geboten. Noch mehr in Erstaunen versetzt wurden die Besucher aber über die Einblicke in weitgehend unbekannte und heute fast gänzlich untergegangene Kulturen ehemals sogenannter wilder Völker, denen die europäischen Forschungsreisenden unter Cooks Leitung im südpazifischen Raum, in subantarktischen Gewässern sowie auf den Inseln und an den Küstenstreifen des arktischen Pazifiks begegnet waren.

Ob der gezeigten Fülle konnte sich da rasch ein Gefühl des Überfordertseins einstellen. Die Einordnung der Exponate, die die Reisen der europäischen Seeleute und Forscher dokumentierten, konnte mit gängigem Hintergrundwissen und einiger Vorstellungskraft noch halbwegs geleistet werden. Auch die Objekte, die die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Reisen illustrierten, waren für fleissige Museumsbesucher wohl noch einigermassen in gängige Wissensraster einzubauen. Aber all die exotischen ethnografischen Gegenstände, all die Werkzeuge, Gerätschaften, Waffen, Alltagsgegenstände, Kleider, Materialien, Funktionen, Herstellungsweisen: Tausend Ähnlichkeiten, tausend Unterschiede – Informationsoverkill und gleichzeitig Orientierungsverlust.

Zum Glück haben die Ausstellungsmacher/-innen diese Probleme offensichtlich vorausgesehen und einen dicken Katalog zusammengestellt, der viele – wenn auch nicht alle – Fragen des faszinierten und stellenweise ratlosen Publikums klärt. Und wer die Ausstellung nicht gesehen hat, kann in dieser Publikation sein Versäumnis teilweise wettmachen.

Mehr als die Hälfte des Umfangs dieses Werks nimmt der Katalogteil ein. In dreizehn Kapiteln, die geografisch geordnet sind (ausser den ersten beiden, die sich dem Personal und der Ausrüstung der Cook’schen Reisen widmen), werden die Exponate vorgestellt und beschrieben und oft auch fotografisch abgebildet. Die obligatorischen Angaben: Bezeichnung, Herkunft, Datierung, Materialien, Masse, Standort, werden durch meist kurze erklärende Texte z. B. über die Bedeutung des Objekts, seine Herstellungsweise, seine Geschichte, Beziehungen zu anderen Ausstellungsstücken etc. ergänzt. Die attraktive Gestaltung trägt dazu bei, dass man immer wieder zum Blättern und Schmökern verleitet wird, an diesem oder jenem Objekt hängen bleibt und zu Vergleichen angeregt wird. Wäre das Buch nicht zu schwer und unhandlich, man hätte es beim Gang durch die Ausstellung regelmässig konsultieren sollen. So aber bleibt das Vergnügen, sich in aller Ruhe in eine unbekannte Welt versetzen lassen zu können.

Wer angesichts dieser Horizonterweiterung noch mehr erfahren möchte über Cooks Unternehmen, die von ihm besuchten Völker, geschichtliche Hintergründe, Forschungsergebnisse sowie Folgen und Nachwirkungen dieses Aufeinandertreffens der Kulturen, findet im ersten Teil des Werks gut zwei Dutzend kurze, reich illustrierte Aufsätze vor. Obwohl die sehr unterschiedliche Qualität und Aussagekraft der einzelnen Abhandlungen auffällt, insgesamt liest man auch diesen ersten Teil mit Bereicherung. Dazu trägt nicht zuletzt die Sicht der heutigen Nachfahren jener «entdeckten» Völker bei, die im Grusswort der Prinzessin von Tonga, Salote Pilolevu Tuita, oder etwa in den Artikeln von Paul Tapsell zu den Maori und von Maria Nugent und Jenny Newell, James Cook, der Entdecker? Die Australische Perspektive, zur Sprache kommt.

Leider versprechen die Titel etlicher Aufsätze zu viel, was sie nicht halten können. Wenn etwa H. Walter Leck unter dem Titel Botanik in der Zeit der Aufklärung lediglich untersucht, welche Pflanzen auf den Gesellschaftsinseln von den Botanikern, die auf Cooks Reisen dabei waren, beschrieben wurden und wie diese Beschreibungen sich etabliert haben oder eben nicht, dann ist das Irreführung des Publikums. Lieber hätte man noch den einen oder anderen informativen Text zu Themen gelesen, die sich zwar fast aufdrängen, im vorliegenden Werk aber kaum berührt werden. Über das Expeditionswesen der Frühen Neuzeit zum Beispiel, das für das Verständnis von Cooks Unternehmungen so eminent wichtig ist, fallen nur beiläufig in Rainer Willmanns Aufsatz zur Zoologie in der Aufklärung einige Bemerkungen.

Einen weiteren Wermutstropfen stellen ein fehlendes Register sowie kleinere Ungenauigkeiten im Literaturverzeichnis dar. Schade auch, dass die Autoren der einzelnen Artikel nicht kurz vorgestellt werden. Dies hätte oftmals den Blickwinkel, von dem aus die Arbeiten verfasst worden sind, erhellen können. Ist beispielsweise Anne Salmond, die den Tod Captain Cooks auf Hawaii kritisch beleuchtet, eine Hawaiianerin? Oder: Wieso ist Nigel Rigby befähigt, sich zur britischen Marine zur Zeit Cooks zu äussern (was er meines Erachtens nicht wirklich macht)?

Trotz diesen Mängeln ist James Cook und die Entdeckung der Südsee nicht nur ein hervorragender Ausstellungskatalog, sondern auch ein Werk, das fesselnd einführt in den exotischen Pazifikraum des 18. Jahrhunderts von der Südsee bis zur Beringstrasse, uns die drei fast unglaublich weiten und gefährlichen Reisen Cooks und seiner Mannschaft in ungewohnter Weise nahebringt und dessen reichhaltige wissenschaftliche Ergebnisse sowie die zusammengetragenen naturkundlichen und ethnografischen Sammlungen anschaulich ausbreitet.

Zitierweise:
Stefan Hächler: Rezension zu: James Cook und die Entdeckung der Südsee. Katalog zur Ausstellung «James Cook und die Entdeckung der Südsee» (07.10.2010 – 13.02.2011). Hrsg.: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn; Kunsthistorisches Museum mit Museum für Völkerkunde und Österreichischem Theatermuseum, Wien; Historisches Museum Bern. Zürich: Neue Zürcher Zeitung 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 60-63.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 60-63.

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